walden
Geraldine Frisch

VERNISSAGE - Do 11.5.2023 19 Uhr
Geraldine Frisch ist während der Vernissage anwesend.


ERÖFFNUNGSTAGE
Fr 12.5.2023 16:00 - 20:00 Uhr
Sa 13.5.2023 10:30 - 16:00 Uhr

AUSSTELLUNGSDAUER - Do 11.5.2023 - Do 8.6.2023



Image

Geraldine Frisch findet ihr Material.
Wachen Auges durch die Welt gehen und im Alltäglichen erahnen, wie es durch eine kleine Verrückung zum Nicht-Alltäglichen verzaubert werden kann, ist eine zentrale Bewegung und Herausforderung in ihrer künstlerischen Arbeit.

Einmal konfrontiert sie Verkehrsinseln performaGv mit der Frage, ob diese mit der um sich selbst kreisenden Verkehrsregelung vollständig ausgelastet sind, vielmehr wozu sie darüber hinaus als Bühne oder Plattform dienen könnten.
Ein andermal verwandelt Geraldine Frisch diverse Haushaltsmaterialien in Verschleierungen der eigenen Identität, die zwischen Inszenierung, Verkleidung und assoziativem Verwirrspiel changieren.

Ihr neuer Fotozyklus trägt den Titel Walden. Spontan erinnert der Titel an Henry David Thoreaus gleichnamigen Aussteigerroman, der Mitte des 19. Jahrhunderts am Ufer des Walden Sees, abseits der Zivilisation geschrieben wurde. Thoreau wohnte zu dieser Zeit in einer selbst gezimmerten Holzhütte in der Wildnis und lebte nur von dem, was er mit seiner eigenen Hände Arbeit anpflanzen oder herstellen konnte. Sein literarisches Tagebuch Walden or Life in the Woods, in dem er seine täglichen Gedanken und Verrichtungen festhielt, wurde zum Kultbuch der 68er-Generation sowie der frühen Naturschutzbewegung. Aus Walden stammt auch die Anekdote über den Dichter Wordsworth, dessen Haushälterin von einem Besucher gebeten wurde, ihm das Arbeitszimmer des Dichters zu zeigen. Sie führte ihn hinein mit den Worten: „Dies ist seine Bibliothek – sein Arbeitszimmer ist draußen“.

Der Wald als Arbeitszimmer. Das trifft auch für Frischs neuen Photozyklus zu. Vielleicht sollten wir für ein besseres Verständnis ihrer Arbeiten walden als Verb verstehen. Zeit im Wald verbringen und dort arbeiten. Oder finden. Und was für verborgene Schätze! Gefahren auch.

Geraldine Frisch spürt im Wald Maschinen und Geräte auf, die von ihren Besitzern dort entsorgt wurden, die ob schon jahrelang vor sich hin rosten und teilweise von der Natur bereits überwuchert, quasi erobert und beinahe schon ‚integriert‘ sind.

Frisch fotografiert Anhängerkupplungen, Zugösen, Scharniere, Deichseln, Zuggabeln und andere Gerätschaften. Nachts. Beleuchtet im Dunklen. Vereinzelt schiebt sich ein Blatt oder ein Zweig ins Bild und erinnert daran, dass die Schönheit der korodierenden Texturen genau an dem Ort stattfindet, der auch für diesen schleichenden Verfall gesorgt hat: im Wald.

Frisch konzentriert sich auf die rohe Schönheit und die eigene visuelle Sprache des Maschinenmülls. Rost, Verfall, Flecken und abblätternde Farbe bringen unter bestimmten Betrachtungsweisen eine faszinierende Patina hervor, die als „industrielle Ästhetik“ seit dem späten 18. Jhd. Künstler immer wieder inspiriert hat.

Über die Betonung der Schönheit dessen, was wir als bedachter Waldspaziergänger als entsorgtes Gerät und Gefahr für Tiere, Mensch und Boden betrachten, wird die Problematik, den Wald als Lagerfläche und Schrottplatz zu benutzen, nicht verharmlost, sondern dialektisch zugespitzt. Erst die Hervorhebung dessen, was wir üblicherweise als ärgerlichen Maschinenmüll wahrnehmen, bringt uns jenseits des naheliegenden gemeinsamen Urteils, dass der Wald selbstverständlich kein Schrottplatz für brachiale Maschinen, auslaufende Flüssigkeiten und giftige Farben ist, ins Nachdenken.

Als Allegorie für die menschliche Psyche, als Ort der Konfrontation mit den eigenen Ängsten und Verdrängungen führen Frischs Fotos auch in abgründigeres seelisches Gelände:

Wie leuchten wir bereits Entsorgtes oder entsorgt Geglaubtes hell aus und berauschen uns an dessen Schönheit? Könnte uns dieser Blick Neues zu sagen haben und tatsächlich keine Flucht sein? Gibt es unentdeckte Möglichkeiten einer Wiederverzauberung der Welt, die keine unzulässige Beschönigungen der Bedrohung sind, sondern tatsächlich Unentdecktes hervorbringen?

Geraldine Frischs Arbeiten heben diese Ambivalenzen hervor. Einerseits gelingt es ihr, das Ärgernis im Wald entsorgter Gerätschaften mithilfe künstlerischer Bearbeitung und Aneignung in einen Gegenstand der Kunst und der künstlerischen Reflexion zu verwandeln; gleichzeitig und indem sie die Natur immer wieder in die komponierten Fotos als Zweig, Blatt oder Stängel einbrechen lässt, reißt der Bezug zur Fundsituation nicht ab und der ästhetische Mehrwert wird stets mit der Notwendigkeit konfrontiert, unseren Umgang mit Verschmutzung, Müll und dem degenerierten Umgang mit Entsorgung zu überdenken.

Claudia Pescatore Kunstphilosophin

Claudia Pescatore *1970 Studium der Philosophie und der Kunst- und Medienwissenschaften in München und Köln. Lebt und arbeitet als Performerin, Vermittlerin und Philosophin in München und auch anderswo.

Informationen zu Geraldine Frisch




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